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01.07.2017
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Anita Tillmann: „Die Branche ist im totalen Wandel“

Veröffentlicht am
01.07.2017

2003 organisierte die studierte Textil- und Bekleidungs-Ingenieurin ihre erste Mode-Messe im stillgelegten U-Bahntunnel der Linie drei unterhalb des Potsdamer Platzes als Mit-Gründerin. In der Zwischenzeit hat sich viel getan. Heute präsentieren auf den vier Messeformaten Premium, Show&Order, Seek, und Brigh, die unter dem Dach der Premium Group zusammengefasst sind, mehr als 1.800 Brands ihre Kollektionen. Veranstaltungsort sind die ehemaligen Hallen des Güterbahnhofs am Gleisdreieck in Kreuzberg – kurz: Station-Berlin, das Kraftwerk Berlin und die Arena in Treptow.

Anita Tillmann - Boris Krall

 
Anita Tillmann ist aber nicht nur die Chefin der Premium Group Events, sondern hat außerdem einen Landesorden erhalten, die Fashiontech Konferenz initiiert, ist Teil des Vorstands des Fashion Council Germany und hat so ganz nebenbei zwei Kinder bekommen. Einfach gesagt: Sie gilt als eine der wichtigsten Personen der deutschen Modebranche und hatte trotzdem eine Woche vor der Messe Zeit mit FashionNetwork über die neuen Show-Konzepte der Messe, das Fashion Council Germany und die Modebranche zu sprechen.
 
FN: Premium wächst und wächst – neue Konzepte, Veranstaltungen – wie blicken Sie bei allen ‚Bausteinen’ der Messe noch durch?
Anita Tillmann: Die Premium Gruppe hat sich tatsächlich in den letzten Jahren stark entwickelt. Was auch mit der Branche, der Wirtschaftskraft in Deutschland und natürlich Berlin als Stadt zu tun hat. Die Kreativität in Verbindung mit dem Unternehmertum hat dazu geführt, dass wir uns immer weiter entwickelt haben. Inzwischen veranstalten wir, jeweils zweimal im Jahr, vier Messeformate mit Premium, Bright, Seek und Show&Order und die Fashiontech Konferenz. Den Überblick behalte ich, weil ich nicht nur ein gutes Gedächtnis habe, sondern ein gutes, strukturiertes Team.

FN: Was machen Sie bei der Premium anders, als Geschäftsführer anderer Messen?
AT: Deutschland ist Messestandort Nummer Zwei – weltweit – und als Messestandort schon immer wichtig. Die Igedo war 40 Jahre lang die größte Messe der Welt.
Was ich anders mache? Es ist mein eigenes Unternehmen und ich kann Entscheidungen schnell treffen und sofort umsetzen. Was wir definitiv anders machen: Wir vermieten nicht nur Quadratmeter, sondern inhaltlich definierte Konzepte. Unsere Messen sind nicht nur reine Transaktionsplattformen, sie sind zu Content-, Media- und Networking-Spaces geworden, die Besucher wie die Aussteller gleichermaßen inspirieren sollen. Dabei bieten wir natürlich einen Rahmen, in dem sie miteinander arbeiten können. Einer unserer Erfolgsfaktoren, dessen Grundstein wir bereits vor 15 Jahren gesetzt haben. ist, dass Damen, Herren und Accessoires nebeneinander stattfinden. Alles findet zur gleichen Zeit statt – und das ist effizienter für alle.
 
FN: Die Frankfurter Messe hat die Ethical Fashion Show, wie setzen Sie das Thema Organic Fashion um?
AT: Das Thema nachhaltige Mode und Lifestyle hatte ihren Ursprung auf der Premium. 2006 gab es in der Halle 7, die damals noch deutlich kleiner war, eine Green-Area mit begleitenden Veranstaltungen. Dann haben sich die Ziele der Designer getrennt. Für eine Hälfte war es selbstverständlich, dass ihre nachhaltig produzierten Kollektionen als Modemarke im globalen Fashionkontext wahrgenommen werden. Die Anderen haben es politisch gesehen und ihre eigene Messe aufgebaut, die dann von der Messe Frankfurt aufgekauft wurde. Heute arbeiten wir partnerschaftlich zusammen, haben einen gemeinsamen Service wie Shuttle und Ticketing. Wir machen es dem Besucher und Einkäufer dadurch sehr leicht und effizient.
 
FN: Wie sehen Sie den Umbruch in der Branche. Mercedes schiebt das Sponsoring von der IMG in Richtung Fashion Council Germany und Berliner Mode Salon, Zalando brummt mit der Bread&Butter?
AT: Die Branche ist im totalen Wandel. Neben Globalisierung und Digitalisierung, gab es lange Zeit nicht so eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung. Innerhalb dieses Wandels ändern sich Messeformate genauso wie Modenschauen, bei denen es inzwischen vor allem um die richtige Umsetzung von Social Media geht. Die Frage ist hierbei: Für wen mache ich die Modenschau? Modenschauen sind durch Social Media schon lange nicht mehr reine B2B-Formate, sondern auch für den Endkunden. Die IMG hat z.B. in New York ihr Konzept bereits geändert. Berlin hat das Potential und die Designer, guten Mode-Content über die Kanäle in die Welt zu schicken. Grundsätzlich sind Modenschauen gut, aber es ist an der Zeit, das Konzept neu zu erfinden. Mit Live-Streams vom Catwalk oder ‚See-now – Buy-now’-Konzepten sind bereits erste Schritte in eine neue Richtung gemacht worden. Jetzt bleibt nur noch die Frage: Wann macht man eine Show, mit wem und wer postet es wohin.
 
FN: Wäre die Bread&Butter by Zalando so ein Format?
AT: Zalando ist eine reine E-Commerce-Plattform mit dem Fokus auf den Endkunden. Die Bread&Butter war schon immer eine Marke, die für die Jugend und Jugendkultur gestanden hat – mit einer Art Festivalgefühl. Es ist sehr smart von Zalando, ihr Online-Business einmal im Jahr mit einer großen Veranstaltung zu emotionalisieren. Ihr Produkt, die Marke Zalando, wird auf einmal erlebbar. Sie bringen Mode, Jugendkultur und Musik zusammen. Das hat mit Messe-Business gar nichts mehr zu tun – aber das ist auch nicht deren Ziel.
 
FN: Wie wird sich die Modebranche in den kommenden 5 Jahren wandeln – gerade in Zeiten, in denen viele mittelständige Modehäuser Insolvenz beantragen?
AT: Wer nicht innovativ denkt und sich nicht bewegt, wer nicht in die nächste Generation und Innovationen investiert, der fällt zurück – das war schon immer so. Ehrlicherweise bin ich überrascht, wie vielen Unternehmen es noch gut geht, die mit alten Strukturen und Geschäftsmodellen arbeiten und sich nicht der Zeit anpassen. Die Art und Weise, wie Mode erlebt, konsumiert und kommuniziert wird, hat sich grundlegend geändert – Stillstand ist keine Option.
 
FN: Sind dies nicht auch Themen auf der Fashiontech Konferenz?
AT: Nicht nur. Auf der Fashiontech präsentieren und diskutieren wir die digitale Entwicklung der Mode als wichtigen Baustein der Modeindustrie. Das Thema Innovation definieren wir mithilfe unterschiedlicher Konzepte auf allen Veranstaltungen. Wie kann ein Point of Sale in einen Point of Experience verwandelt werden. Ob das digital oder auf persönlicher Ebene stattfindet, hängt von der Art, der Struktur, der Größe und dem Unternehmen selbst ab. Ich sehe es als unsere Aufgabe, den Handel so gut wie möglich zu unterstützen und mit neuen Lösungen und Ideen zu versorgen. Diese Saison setzen wir das Thema Retail-Experience auf den verschiedenen Plattformen um und präsentieren z. B. Food-Konzepte, um Retailer zu inspirieren.
 
FN: Was fehlt der Premium und welche Konzeptbausteine wird es in der Zukunft geben?
AT: Content, Commerce und Community. Auch wir arbeiten am Thema Digitalisierung. Auch wir müssen das Thema Social Media für uns umdenken. Die Fashiontech wird für den kommenden Sommer noch größer und definitiv noch mehr ausgebaut. Das Thema Beauty und Styling erhält einen größeren Stellenwert. Schon jetzt zeigen wir Beauty-Produkte auf der Show&Order und der Premium. Hinzu kommt unser neues Show-Format ‚15Looks’ in Kooperation mit Refinery 29.
 
FN: Brigitte Zypries wird als erstes Bundestagsmitglied ein Bild von der Modebranche in Deutschland machen, was werden ihre Forderungen an sie sein?
AT: Das kann ich ihnen noch nicht sagen. Im Namen des FCG und der Premium freuen wir uns, Frau Zypries einen Einblick in die Modeindustrie zu vermitteln.
 
FN: In wie weit wird auch das Fashion Council Germany die Arbeit ausbauen?
AT: Wir unterstützen schon jetzt junge Designtalente. Das wollen wir in Zukunft noch weiter ausbauen. Wir sind auch dabei, weitere Konzepte zu entwickeln. Denkbar wäre ein E-Commerce-Format, über das junge Designer sich nicht nur präsentieren, sondern auch erste Kollektionsteile verkaufen können. Auch denkbar wäre es, die Modenschauen zu kuratieren.
 
FN: Was treibt Sie in der Modebranche noch an?
AT: Ich sehe so viele Kollektionen, aber ich bin immer noch leidenschaftlich dabei. Nicht nur, um zu konsumieren, sondern weil Mode mich berührt. Sie ist ein wichtiges MIttel, um sich auszudrücken. Im Zeitalter von Social Media ist sie zur globalen Sprache geworden, die Menschen auf der ganzen Welt vereint.
 
FN: Und wie 'konsumieren' Sie?
AT: Mit steigendem Bewusstsein für einen ganzheitlichen Lifestyle hat sich das Konsumverhalten insgesamt geändert. Statt Massenkonsum würde ich immer wieder Geld für Qualität ausgeben. Vivienne Westwood war letztens in Berlin und hat gesagt „Buy it – Choose well“, ich würde sagen ‚Choose well – and buy it’. 
 
Danke für Ihre Zeit und das Gespräch.
 
 
 
 
 
 
 

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