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Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
23.11.2022
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Gucci: Alessandro Michele auf dem Absprung?

Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
23.11.2022

Die Flitterwochen sind für Gucci und Alessandro Michele definitiv vorbei. Der Kreativdirektor soll das italienische Luxushaus demnächst verlassen, wie Quellen der amerikanischen Branchenzeitschrift WWD bestätigen. Gucci, treibende Kraft des Mutterkonzerns Kering, hat die Information auf Anfrage weder bestätigt noch zurückgewiesen und antwortete lakonisch mit "No comment". Am Mittwochvormittag ging der Kering-Kurs an der Pariser Börse auf Talfahrt. Für die Geschäftsführung stellt sich nun in der Tat die Frage, ob sie weiter mit dem Kreativdirektor zusammenarbeiten will oder nicht, da sich das Unternehmen von François-Henri Pinault stark auf den Umsatz seiner Hauptmarke stützt.


Alessandro Michele bei der letzten Gucci-Show im September - © PixelFormula



Gucci, das Zugpferd der Kering-Gruppe, erzielte im Jahr 2021 mit EUR 9,73 Milliarden einen Umsatzanstieg von 31%, und trug damit mehr als die Hälfte des Konzernumsatzes und drei Viertel des Betriebsergebnisses bei. Im dritten Quartal verzeichnete die Marke ein organisches Wachstum von 9% gegenüber +4% im zweiten Quartal (ausgewiesen +18 Prozent). In den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres verbesserte sich der Umsatz um 8 Prozent auf EUR 7,75 Milliarden. Bei der Veröffentlichung der Quartalsergebnisse im Oktober betonte die Geschäftsleitung einstimmig, dass die Erholung begonnen habe und mittelfristig einsetzen werde. Dieser Zeitrahmen scheint nun offensichtlich zu lang zu sein.

Mit der Ankunft von Alessandro Michele und CEO Marco Bizzarri im Jahr 2015 erlebte das Modehaus zunächst eine spektakuläre Entwicklung bis 2019, als der Wachstumstrend aufgrund der Corona-Pandemie und der starken Ausrichtung von Gucci auf China einbrach. Die Baisse scheint sich seit Jahresbeginn jedoch zu verstärken, während andere Luxushäuser Rekordzuwächse verzeichnen.

Mit seinem eklektischen und überbordenden Stil vermischte der Designer Stilrichtungen und Einflüsse zwischen ausgefallenen und klassischeren Entwürfen. So gelang es Michele, der Geschichte des an Dynamik verlierenden Hauses neues Leben einzuhauchen und eine große Begeisterung rund um die Marke zu entfachen. Parallel zum umgehenden Erfolg entwickelte Gucci ein einzigartiges und unverwechselbares Markenuniversum, das sich von Saison zu Saison durch Micheles einzigartigen Stil verfeinerte.

Die Begeisterung für diese besondere Ästhetik, die von Saison zu Saison erneuert wurde, scheint jedoch seit einem Jahr nachzulassen und erscheint heute weniger attraktiv zu sein.

Luca Solca des Analystenhauses Bernstein bezeichnet den Rücktritt denn auch als "sehr gute Nachricht", obwohl er sich auf den Aktienkurs von Kering an der Börse auswirken dürfte. Doch ist Solca der Ansicht, dass "Gucci unter einem gewissen Überdruss leidet, denn Alessandro Michele wiederholt seit sieben Jahren immer dasselbe". Dies habe die Kunden, die seit seiner Ankunft die Produkte des Labels massenweise kauften – hauptsächlich in China – schließlich ermüdet. "Das ist kaum überraschend. Um erneut an Fahrt zu gewinnen, muss Gucci ein neues kreatives Kapitel aufschlagen. Was – sehr wahrscheinlich – nur mit einer neuen kreativen Energie und einem neuen Talent möglich ist. Je früher je besser", so Solca.


Alessandro Micheles letzte Show mit dem Zwillingsthema war ein wahrer Erfolg - © PixelFormula



Derselben Meinung sind auch die Analysten von RBC. "Nach sieben Jahren an der Spitze des kreativen Motors von Gucci könnte es Zeit für einen Wandel sein. Die institutionellen Investoren scheinen dahingehend übereinzustimmen, dass es für den Relaunch der Marke einen neuen Ansatz braucht", erklären sie. Und weiter: "Insgesamt könnte die Idee eines kreativen Richtungswechsels bei Gucci positiv aufgefasst werden".

Seit mehreren Monaten sind bei Gucci bedeutende Personalbewegungen zu verzeichnen, insbesondere im Frühjahr mit der Ernennung von Laurent Cathala an die Spitze des Modegeschäfts im Großraum China, und von Maria Cristina Lomanto zur Executive Vice President der Marke. Benjamin Cercio wurde soeben zum Leiter der globalen Kommunikation berufen, während Robert Triefus zum Generaldirektor von Gucci Vault und Metaverse Ventures befördert wurde.

Vor allem wurde die neue Funktion des Studio Director eingerichtet, die im Sommer einem nicht namentlich erwähnten leitenden Designer von Gucci anvertraut wurde. Aufgabe der/s Studio Directors ist es, die Design-Teams zu überwachen, um den Kreativdirektor zu unterstützen. Die Funktion könnte sich in den kommenden Monaten beim Übergang zum neuen Kreativchef oder gar bei der Übernahme der kreativen Verantwortung für die Marke als strategisch erweisen. Diese Entwicklung wurde bereits bei der Kering-Tochter Bottega Veneta beobachtet, als Matthieu Blazy kurzfristig für Daniel Lee einsprang, als dieser vor knapp einem Jahr entlassen wurde. Oder auch bei Gucci, als Michele, der seit 2002 für das Haus tätig und ab 2011 die rechte Hand von Frida Giannini war, plötzlich an die Spitze der kreativen Abteilung katapultiert wurde.
 

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