Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
19.09.2022
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LFW am Sonntag: Simone Rocha, Erdem, Christopher Kane, David Koma und Rejina Pyo

Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
19.09.2022

Trotz der zahlreichen Gedenkminuten während der Schauen, mit gesenkten Köpfen im Publikum, war das Programm der London Fashion Week am Sonntag mit mehr als einem Dutzend Runway-Schauen voll ausgefüllt.

FashionNetwork.com war bei folgenden Designern mit dabei: Simone Rocha, Erdem, Christopher Kane, David Koma und Regina Pro.

Simone Rochas majestätisches Menswear-Debüt



Simone Rocha enthüllte am Sonntagnachmittag ihre erste Menswear-Kollektion im Old Bailey und das Urteil des Publikums war unwiderruflich – die Show war ein sensationeller Erfolg.


Simone Rocha - Frühjahr/Sommer2023 - Womenswear - Londres - © PixelFormula


Rocha verneigte sich unter Tränen unter den Fresken von Moses, zu tosendem Applaus, der bis über die Kuppel des Obersten Gerichtshofs des Landes hinaushallte.

Die Anerkennung für ihre mutige erste Menswear-Kollektion war nicht zuletzt auf die Klarheit der gezeigten Ideen zurückzuführen, die genau das aufgriffen, was an Rochas weiblicher Modeästhetik so besonders ist – Romantik, Fantasie und Weiblichkeit gemischt mit schräger Eleganz.

Nur selten entwerfen Designer Tüllschleier, perlenbesetzte Schlüsselanhänger und Blumenohrringe für Herren. Simone tat genau dies. Ihr erster Menswear-Look bestand aus einer khakigrünen Fliegerjacken- und Hosenkombination, die mit viel Schwung gerafft und mit Riemen ausgestattet wurden. Das Model trug dazu schwarze Socken mit aufgestickten Blütenblättern. Darauf folgte eine Frau, deren Renaissance-Kleid mit riesigen Hammelkeulenärmeln aus demselben Stoff gefertigt war.

Rochas kombinierte einen Trainingsanzug aus schwarzem Nylon mit vertikalen Reißverschlüssen mit einer Novizen-Soutane. Und sandte einen cremefarbenen Jacquardmantel mit weißem Kilt, Blumensocken und Turnschuhen mit Abrollsohle über den Laufsteg. Die Accessoires waren passend zu den Damen-Outfits gestaltet – von Herrentaschen mit Perlenbesatz bis hin zu den Sandalen.

Die irische Designerin hatte zwar bereits vor ein paar Jahren in einer Capsule Collection für H&M erste Menswear-Looks entworfen, doch präsentierte sie in London ihre erste vollständige Kollektion für Herren. Ein brillantes Debüt, das zusammen mit einer weiteren beeindruckenden Womenswear-Kollektion enthüllt wurde.

Diese wurde von Oversized-Fliegerjacken im Blumenprint, dekonstruierten Kleidern aus schwarzer Fallschirm-Seide und fließenden Metallic-Ballkleidern im Schichtenlook geprägt.

Ihr ganzes Team hatte großartige Arbeit geleistet. Die von Samuel Ellis Scheinman und Piergiorgio Moro getroffene Modelauswahl war mit Abstand die Beste der Londoner Saison, Haarstylistin Cyndia Harvey kreierte fabelhafte geteerte Zopffrisuren und Thomas de Kluyver zeichnete für den ziemlich unheimlichen und doch coolen roten Glitter-Eyeliner verantwortlich – für Damen und Herren. Untermalt wurde die Show durch Frédéric Sanchez’ meisterhaft dramatischen Soundtrack mit dem Song 'Waste' von Einstürzende Neubauten.

Alles in allem ein berührender modischer Moment an einem außergewöhnlichen Wochenende in einer der großartigsten Metropolen der Welt.

Erdem: Von restaurierter Romantik und coolen Konservatoren



​Erdem Moralıoğlu präsentierte seine jüngste Show unter den Säulengängen des British Museums. Seine Inspiration für die Kollektion stammte von der Textilrestaurierungs-Abteilung des Museums.


Erdem Frühjahr-/Sommerkollektion 2023 in London - Erdem


Ein ziemlich fantastischer Präsentation damenhafter Pracht, mit Stoffen, die sich auf die Stoffmuster aus dem Museumsarchiv stützen. Und damit auch garantiert niemand die Inspirationsquelle verpassen konnte, wurde einer Schürze gar die Stoffversion eines Konservierungsdokuments angeheftet.

Wenige Designer sind so sehr von ihren Moodboards besessen wie Erdem, der seine jüngste Version mit Bildern chinesischer Kleider aus dem 15. Jahrhundert und Werken alter niederländischer Meister ausstaffiert hatte.

Nicht, dass die Kleider wörtlich interpretiert werden sollten. Denn nachdem das Konzept durch Erdems große Vorstellungskraft durchgesickert war, entstand daraus eine modernistische Vision. Wobei der Designer nicht nur Stoffe upcycelte, sondern den ganzen Inhalt in eine frische Vision der Eleganz überführte.

Dennoch wären Vermeer und Francisco de Zurbarán über den erhabenen Hipster-Sinn von Erdems Frühjahrskollektion 2023 entzückt gewesen.

Der türkisch-kanadische Designer gestaltete ganze Kleider, Umhänge und Schleppen mit Prints von Radierungen aus dem 17. Jahrhundert. Er arbeitete auch mit Konservatoren aus dem Tate Museum sowie dem V&A, wodurch die Schleier, die durch die halbe Kollektion führten, Anspielungen auf Umhänge antiker Kleidungsstücke enthielten.
 
Doch die Erdem-Frau ist kein scheues Mauerblümchen. Der Designer liebt selbstsichere Persönlichkeiten, die in männlich anmutenden Brogues und Monk-Schuhen marschieren und mehrheitlich knöchellange Kleider tragen. Er spielte auch mit Proportionen in durchscheinenden weißen Kreppröcken, weißen Jeans-Bustiers sowie wundervollen Blumenprints von Ölgemälden, die auf gekräuselten langen Röcken verwendet wurden.

Dazu ein großartiger Orchestermusik-Remix von Natalie Holt, der ersten Frau, die einen Star Wars-Soundtrack produzierte.

“Offensichtlich handelt es sich um eine ganz außergewöhnliche Woche hier in London, und ich habe versucht, dies in meinem ersten Look aufzugreifen. Damit verneige ich mich vor ihrer Majestät", sagte Erdem, und verbeugte sich dabei. Dann eröffnete er seine Show mit einer schwarzen Bar-Jacke und einem mit Stoffblumen besetzten langen Rock, umhüllt von einem schwarzen Schleier.

David Koma: Starke marine Mode in Hackney



David Koma organsierte seine Show in seiner Heimat – auf einem kleinen Platz neben seinem Studio in East London. Auf der Suche nach Inspiration wagte er sich in tiefe Gewässer.


David Koma - Frühjahr/Sommer 2023 - Womenswear - Londres - © PixelFormula


Koma war schon immer ein Designer für starke Frauen und in dieser Saison stützte er sich auf die Biologin Sylvia Earle, "eine unglaubliche Frau in einem von Männern beherrschten Tätigkeitsfeld".

Earle ging mit einer Gruppe Biologen zurück auf Tieftauchgänge in den 70er-Jahren. Daraus entstanden zahlreiche Anspielungen auf marine Mode in der Kollektion: Schwarze Pailletten-Seesterne als Bruststück, ein Krakenarm, der einen BH hält, Metallic-Muschelketten. Wirbelnde Wellenmuster wurden mit Pailletten auf fleischfarbene Mini-Cocktailkleider aus Tüll genäht. Und vielerorts spielte er mit irisierenden Austernschalen-Farben.

Im Platz, auf dem die Show stattfand, wurde einst das erste Shakespeare’sche Theater errichtet.

“Zufällig und natürlich. Ein Benzinflecken aus dem Motorsport trifft auf die Unterwasserwelt", erklärte Koma, während er zu Tagesbekleidung führte – Motorradjacken oder Jeans – dazu Neopren-Pullover und Tauchanzüge.

Der Schlüssel zu Koma ist jedoch stets die verführerische Fantasie, hautenge Kleider mit viel nackter Haut durch Cut-Outs und schulterfreie Designs. Getragen von äußerst reizvollen Models in schillernden Overknees.

Christopher Kanes Rückkehr auf die Laufstege



Christopher Kane wurde einst als Enfant Terrible und modische Entdeckung Londons gefeiert – doch scheint er sich in den vergangenen Jahren von den Superlativen entfernt zu haben.


Christopher Kane Frühjahr-/Sommerkollektion 2023in London - Christopher Kane


Somit war es eine Freude, ihn nach langer Abwesenheit mit einer Show im berühmten Musik-Mekka "Roundhouse" im Norden Londons wiederzufinden. Vor der Show mahnte sein PR-Team Journalisten, Einkäufer und Influencer, dass sie bitte frühzeitig zur Show auftauchen sollten, um die nationale Schweigeminute im Gedenken an die verstorbene Königin um 20 Uhr einhalten zu können.

Doch nachdem mehrere Hundert Gäste wie gewünscht 20 Minuten vor der Show eintrafen, blieb der Eingang kurzerhand bis 20 Uhr geschlossen. Somit mussten die meisten Gäste die Schweigeminute stehend auf der Chalk Farm Road absolvieren.

Nach der Show veröffentlichte das Haus folgendes Statement: "Im Namen von Christopher und Tammy Kane möchten wir uns bei allen Gästen, die heute Abend im Showspace mit Problemen konfrontiert waren, aufrichtig entschuldigen. Ein unvorhergesehenes technisches Problem verzögerte die Türöffnung. Unsere Priorität war es, ihrer Majestät Königin Elizabeth II Ehre zu erweisen, und sicherzustellen, dass unsere Gäste diesen besonderen Moment begehen konnten. Es tut uns sehr leid, wenn dies Ihr Erlebnis beeinträchtigte".

Auf dem Laufsteg knüpfte Kane an seine beständige Besessenheit mit Sex an und zeigte eine Lingerie-lastige Kollektion. Seine große Idee lag in der Kombination von Seidenunterhosen mit Spitze in Kunststoff-BHs und Mieder sowie Metallic-Fäden. Nicht wirklich ein Umwelt-Statement.

Mit seiner Abendgarderobe schnitt Kane besser ab. Er zeigte einige elegant geschnittene Paillettenlooks und mehrere vorzügliche Cocktailkleider in Anthrazit und Silber. Doch auch hier rundete er die Looks mit kontrastierenden aufgesetzten BH-Körbchen und Schlitzen ab.

Seine gerissenste Idee war es, Streifen bunter anatomischer Zeichnungen an Abend- und Partykleidern zu befestigen. Man kann Kane gewiss nicht vorwerfen, dass er risikoscheu und ideenlos sei. Vielleicht aber, dass es ihm an einer abschließenden Ästhetik fehlt, die sein gesamtes Oeuvre zusammenbindet.

Rejina Pyo: Kommerziell und langweilig



Wer in London nach leicht verständlicher kommerzieller Mode Ausschau hielt, war mit Rejina Pyo gut bedient.


Rejina Pyo Frühjahr-/Sommerkollektion 2023in London - Rejina Pyo


Ihre jüngste Show fand in einem brandneuen Hochhaus an der Old Street statt und die Kleider waren so untertrieben gestaltet wie das modernistische Gebäude selbst – und langweilig.

Rejina weiß, wie man einen sauberen und kohärenten Hosenanzug oder hellblau schimmernde Baumwoll-Trenchcoats schneidet. Und Chiffon-Kleider rüscht sie meisterhaft. Man kann sich gut vorstellen, dass viele Frauen diese Entwürfe bewundern, und diese hervorragend in die Garderobe fleißiger Geschäftsfrauen passen werden.

Das Problem war der Mangel an Neuem, oder schlicht einer klaren Richtung. Dafür reist man nicht an die London Fashion Week.

Yuhan Wang



Der koreanische Designer widmete seine Kollektion drei berühmten Fliegerinnen, darunter Amelia Earhart und Lee Ya-Ching, die erste Frau, der in China eine zivile Fluglizenz gewährt wurde. Doch kann man sich nur schwer vorstellen, dass die beiden auch nur einen Gedanken daran verloren hätten, diese rüschenbesetzten Entwürfe selbst zu tragen.


Yuhan Wang Frühjahr-/Sommerkollektion 2023in London - DR



In den ledernen Fliegermützen war die Anspielung auf die Fliegerinnen offensichtlich. Doch fühlte sich das Drumherum etwas an den Haaren herbeigezogen an – von den halbdurchsichtigen Spitzenanzügen mit Oversized-Jodhpur-Hosen bis zu den mit Jacke und Gürtel kombinierten plumpen Schnürstiefeln. Die durchscheinenden Miniröcke aus Spitze und weißen Blumenstrümpfen sahen in Kombination mit Bomberjacken mit Nelkenprint eher seltsam aus.

Unter dem Strich fühlte sich die Kollektion eher an wie ein Flugzeugabsturz. 

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